Als Kind haben wir es andauernd getan, als Erwachsene unternehmen wir viel dafür, es zu unterdrücken. Die Rede ist vom Weinen. Auch wenn es gesellschaftlich noch immer nicht ganz akzeptiert ist, seinen Tränen freien Lauf zu lassen, plädiere ich laut und stark für ein häufiges und herzzerreißendes Schluchzen. Denn Weinen hat die magische Kraft, uns körperlich und seelisch zu heilen.
Weinen hat verschiedene Funktionen
Wenn ein Baby den schützenden Bauch der Mutter verlässt und das Licht der Welt erblickt, weint es. Wer allerdings genau hinschaut, bemerkt, dass es eigentlich eher schreit, denn dem Neugeborenen kullern keine Tränen über die Wangen. Dafür fehlt ihm der Mechanismus im Gehirn, der dafür sorgt, dass Tränen aus den Tränendrüsen sezerniert werden. Seine Schreie haben aber verschiedene wichtige biologische Funktionen, wie die Verständigung mit den Eltern und das Bekommen von Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Trost und Fürsorge. Wenn die Tränenfunktion ausgereift ist, erfüllt das Weinen aber noch ganz andere Aufgaben. Es befreit beispielsweise den Organismus von Giftstoffen, die durch Stress und Ängstlichkeit verursacht werden und hält das natürliche Gleichgewicht der Körperfunktionen aufrecht.
Welche Träne darf’s denn sein?
In der Forschung unterscheidet man drei verschiedene Tränenarten: Reflextränen, die automatisch entstehen, wenn wir etwas im Auge haben, basale Tränen, die dem Auge Feuchtigkeit spenden und es reinigen und emotionale Tränen, die von unserem Gemütszustand hervorgerufen werden. Heute geht es ausschließlich um die emotionalen Tränen, denn diese haben eine heilsame Wirkung auf unseren Körper und vor allem aber auf unsere Seele.
Die meisten Menschen verbinden Weinen mit einem negativen Ereignis wie Schmerz, Enttäuschung, Wut oder Angst. Es ist ihnen unangenehm, wenn sich der Kloß im Hals bemerkbar macht und die Augen sich mit Wasser zu füllen beginnen. Entsprechend ist der erste Impuls meist, stark zu sein und die Tränen zu unterdrücken. Einfach ein paar Mal tief durchatmen, die glänzenden Augen trockenwischen und die Enge im Hals wortwörtlich herunterschlucken, und schon ist die emotionale Krise vorbei.
Mach dich nicht zum Gefangenen deiner Gefühle
Leider aber ist das der falsche Ansatz. Wer sich regelmäßig verbietet zu weinen, hält die negativen Gefühle zurück und kreiert eine innerliche Mülldeponie für all die angestauten Emotionen. Und da diese nirgends hinkönnen, gären sie vor sich hin, bis das Fass eines Tages überläuft und es zum großen Knall kommt. Weinen ist also ein enorm wichtiges Ventil für unsere Sorgen, unseren Kummer und unseren Schmerz und hilft, unsere Seele zu reinigen und uns zufrieden und ausgeglichen zu fühlen. Auch auf unseren Körper hat das Unterdrücken der Tränen einen negativen Einfluss. Wer sich das Weinen zu häufig verbietet, erhöht sein Stresslevel und fördert dadurch Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Magenprobleme, Depressionen oder Angstzustände.
Wenn es ums Weinen geht, fahr großes Kino auf
Genauso wie es verschiedene Arten von Tränen gibt, gibt es auch unterschiedliche Formen des Weinens. Bestimmt kennst du Personen, die zurückgezogen und im Stillen für einen kurzen Moment ein paar Tränen vergießen, um dann unverzüglich zur Tagesordnung zurückzukehren. Vielleicht ist es ihnen peinlich, vielleicht wollen sie sich nicht schwach fühlen, vielleicht haben sie es verlernt, richtig zu weinen. Und mit richtig meine ich filmreifes, hemmungsloses Heulen. Nicht, weil ich eine Dramaqueen bin, ganz im Gegenteil. Sondern weil es just dieses heftige, emotionale Schluchzen braucht, um den ganzen Druck, Schmerz und Frust aus uns herauszuspülen. Je heftiger wir weinen, je mehr Tränen wir vergießen und je zittriger die Stimme dabei ist, desto größer die Befreiung und die Erleichterung. Nach einer halben Stunde Rotz und Wasser Heulen fühlen wir plötzlich eine Leichtigkeit in der Brust, der Kloß im Hals ist verschwunden und was uns so gekränkt oder verletzt hat, ist nur noch halb so schlimm. Studien haben gezeigt, dass es uns etwa 90 Minuten nach dem Weinen oft sogar besser geht als davor. Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass Weinen glücklich macht. Das hat nebst dem Loslassen negativer Gefühle auch damit zu tun, dass wir den inneren Druck abbauen und so wieder Platz für Neues und Schönes schaffen.
Lass die Maske fallen und die Tränen kullern
Weinen verbessert auch die Beziehung zu unseren Mitmenschen, denn oft tun wir alles dafür, taff und stark zu wirken. Lassen wir aber die Tränen zu, fällt die Maske und wir zeigen uns von unserer verletzlichen, weichen Seite. Das schafft Nähe und Verbundenheit und führt oft dazu, dass auch der andere damit beginnt, seine Gefühle zuzulassen. Denn er oder sie hat begriffen, dass es nicht darum geht, perfekt oder unnahbar zu sein, sondern darum, Emotionen anzunehmen und mit anderen zu teilen. Wenn das passiert, kann eine liebevolle und empathische Beziehung entstehen.
Hilfe, bei mir fließen keine Tränen
Weinen ist also für unseren körperlichen, vor allem aber für den seelischen Heilungsprozess enorm wichtig. Was aber, wenn jemand nicht weinen kann? Gehörst du vielleicht zu den Menschen, bei denen keine Tränen fließen, egal, wie traurig sie sind?
Ein häufiger Grund dafür ist das bewusste oder unbewusste Verdrängen negativer Gefühle. Dieser Impuls stammt vor allem bei Männern meist aus der Kindheit, denn leider bekommen noch immer viele Buben zu hören, dass sie stark sein müssen und Weinen nur etwas für Mädchen ist. Für sie sind Tränen ein Zeichen er Schwäche und sie werden sich später als Erwachsener hüten, sich diese Blöße zu geben. Für solche Menschen ist es enorm wichtig, Zugang zu ihrer Gefühlswelt zu finden und insbesondere negativ behaftete Emotionen wie Trauer, Angst oder Verzweiflung anzunehmen. Seelisch gefestigte Personen haben kein Problem zu zeigen, wenn es ihnen nicht gut geht und selbst vor anderen zu weinen.
Professionelle Unterstützung bringt dich zum Heulen
Wenn es dir schwerfällt, dich deinen Tränen hinzugeben, solltest du dich fragen, wann du damit angefangen hast, dich von deinen Empfindungen abzuspalten und wovor genau du solche Angst hast, dass du es noch heute tust. Es ist gut möglich, dass dich eine traumatische Erfahrung oder von der Familie übernommene Glaubenssätze daran hindern, deine Gefühle auszuleben. Ist das der Fall, melde dich bei mir. Es gibt verschiedene Methoden, um Traumas und negative Überzeugungen aufzulösen, damit du eine natürliche Einstellung zum Weinen bekommst.